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Was ist FAMe_FRANKFURT?

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Das FORSCHUNGSNETZWERK ANTHROPOLOGIE DES MEDIALEN /FAMe wird von einer internationalen Gruppe von Menschen getragen, die der Überzeugung sind, dass die medialen Selbstorganisationen der Menschheit das dauerhafte Erzeugungsprinzip von anthropologisch modernen Kulturen sind. Uns ist klar, dass diese komplexen Prozesse z.B. der Informationserzeugung, der Formentscheidungen, der Denkcodierungen und Formatierungen von Gedächtnis, der Militarisierung und Ökonomisierung von Kommunikation, der monosensorischen oder multisensorischen Ästhetik längst nicht abgeschlossen sind, dass sie nie abschließbar sein werden. Mediale Selbstorganisation ermöglichen und bestärken kulturelle Evolution; sie sind zugleich Teil dieser (Displayed World).

Dieser medienevolutionäre Grundkonsens differenziert sich in dem Forschungsnetzwerk u.a. nach den jeweiligen individuellen Schwerpunkten. Die Akteure sind tätig in wissenschaftlicher Forschung und Lehre, in Computerwirtschaft und Produktentwicklung, in Forschung zu Wissensgenerierung und Wissens-/ Informationstransfer, Kunst und Architektur.

Sie eint das wissenschaftliche Interesse erklären zu können, warum und wie Menschen dazu kamen, Signal- und Zeichensysteme, Informationen und Informationsspeicher sowie Medien zu entwickeln und durch diese eine nicht biologisch reduzierbare, geistige Entwurfs- und Entwicklungsfähigkeit zu erreichen.

Im Zentrum der Erkenntnisinteressen stehen Fragen nach Wechselwirkungen biologischer Möglichkeiten des anthropologisch modernen Menschen mit seinen immer wieder neuen Handlungs- und Entwurfsfähigkeiten, den sehr verschiedenen medialen und kulturellen Verläufen menschlicher Selbstorganisation und schließlich mit den Regeln und Programmen seiner Imaginationen, Fiktionen, Realitätsannahmen und virtuellen Realitäten.

Worum geht es FAMe_Frankfurt?

Zunehmend und weltweit wird über Medien geforscht. Mehrheitlich gehen die Forschungen und Thesen davon aus, dass technische Medien der Speicherung, Übertragung und kombinatorischen, selektiven Verarbeitung von Informationen Wahrnehmung und Kultur erzeugen. Hier melden wir den ersten Widerspruch an. Der hier vertretene Forschungsrahmen geht davon aus, dass Medien materiale Programme sind, in denen bereits getroffene Selektions- und Erhaltungsentscheidungen verarbeitet werden. Ihre naturwissenschaftliche, technische oder handwerklich bearbeitete Materialität gibt Auskunft über Handfertigkeit oder jeweilige Materialkenntnis. Mehr nicht. Sie teilt uns nichts mit, warum Stein, Ton, Papier, Kuhhaut, Silizium oder Glasfiber gerade so verwendet werden. Die Medienfähigkeit erklärt sich nicht aus dem Material.

Medien sind kein
preface to culture.

Medien sind von den Codierungen und Programmatiken des Sehens, Hörens, Lesens, Betrachtens, Imaginierens nicht zu lösen. Sie werden von Menschen in die Felder der zeitnahen, zeitfernen, der verallgemeinerten und objektivierten kulturellen Selbstorganisation platziert. Dass dabei eine Idealisierung, Verherrlichung oder auch Verdächtigung von Medien erfolgt, gehört zu der Art und Weise, wie Menschen über diese nicht-natürliche Selbstverständlichkeit reden und empfinden. Programme und Programmatiken weisen darauf hin, dass es in den anstehenden Forschungen nicht um Medien, sondern um das Mediale gehen wird, um die immer wieder neu adressierten Fähigkeiten des Menschen, sich der Natur der Signalsteuerung zu entziehen und Welten künstlicher Steuerungen und Verlässlichkeiten zu schaffen. Diese von Manfred Faßler mediale Selbstbefähigung genannte Besonderheit des Homo sapiens sapiens stellt die Erforschung von Medien in die Zusammenhänge kulturell und trans-kulturell erfundener und eingesetzter Kontinuitätserfindungen. Hier setzt der zweite Widerspruch zur These an, Medien würden Kultur „erzeugen“. Weder die Medienmaterialität noch die Speicher-, Sende- oder Verarbeitungsformate erzeugen eine Art kulturellen Tunnelblick. Die informationelle, zeitliche und kommunikative Bedeutung von Medien anerkennend, gehen wir davon aus: Medien sind nie aus der polysemischen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bedeutungsvielfalt noch aus den offenen Prozessen interaktiver Neu-, also Selbstorganisation menschlicher Systeme herauszulösen. Sie verlören jeglichen Zeit- und Kommunikationsbezug. So betrachtet sind Medien Formate kultureller Organisation von Dauer, Diachronie und Verallgemeinerungsanspruch. Gleichwohl sind sie eine zunehmend wichtiger werdende Dimension der interaktiven Selbstorganisation menschlicher Verständigungs-, Kontinuitäts- und Denkanforderungen.

Medien stellen ein zunehmend wichtigeres Feld
kultureller und globaler Interfaces dar.

Wir sprechen von Medien, von der medialen Selbstbefähigung des Menschen, von einem kulturevolutionär entstandenen Mediensinn, über den alle Menschen inzwischen verfügen, ganz gleich, welche Physik die Medien aufweisen. Zeichen, Informationen, Medien, seit ca. 5.000 Jahren Gründungsmodule aller menschlichen Kulturen, ermöglichten Kooperationen, Gedächtnis, Reichweiten von Meinungen und Informationen ganz neuer Art. Mit ihnen schufen Menschen die Welt der virtuellen Migrationen, also Informationsflüsse, der Gedankenanleihen, der geistigen Tätigkeit, der Übersetzungen, Intertextualität, Kooperationen und Missionierungen. Diese virtuellen Migrationen unterstanden und unterstehen sicherlich den Grenzregimen von territorialen Kulturen, den Idealisierungen ihre Sprache, Sprach- und Wissenspolitiken, institutionellen Filtern aller Art. Dennoch sind die Prozesse sich ständig neu organisierender medialer Fähigkeiten nicht zu unterbinden. Wir Menschen haben ko-evolutionäre Dynamiken zwischen Erfindungen und Anwendungen, Gestaltung und Nutzung, Abstraktionen und Sinnlichkeit gestartet, die sicherlich in Regionen der Welt für hunderte von Jahren unterdrückt, d.h. extrem verlangsamt werden können. Mediale Evolution besteht in weltweiten Prozessen, in ständiger Weitergabe ´heißer Erfindungen´, wichtiger Nutzungserfahrungen, dem Diebstahl von Patenten, den erzwungen oder freien Wanderungen von Ideenträgern etc., der Wanderung von Ideen.

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FAMe_Frankfurt eint die Überzeugung, dass mit Medien die kulturelle Evolution menschlichen Lebens beeinflusst wird, dass aber Medien selbst einem Veränderungsgeschehen unterliegen, das sich weder aus ihrer Materialität allein, noch aus den Notations- oder Speichersystematiken ergibt.

ES GIBT KEINE GESCHLOSSENEN FORMUNIVERSEN

Es ist die wissenschaftlich begründete Überzeugung, dass wir Menschen nicht in geschlossenen Formuniversen zu Recht kommen müssen.

Vielmehr sind wir ständig dabei, Zusammenhänge auf Muster zu durchsuchen, Standards zu erfinden und durchzusetzen, letztlich Formen zu erfinden, deren Handlungsmatrix wir dann befolgen.

Diese erdachten Formen bilden die Binnenwelt unserer Wahrnehmung. Es gibt, - für uns Menschen -, keine Formen jenseits unserer Wahrnehmung, der Muster- und Bedeutungsbildung, nichts außerhalb der zeitlichen und normativen Regeln, mit deren Hilfe wir Menschen versuchen, Dauerhaftigkeit, Wiederholbarkeit, Zuverlässigkeit zu bestimmen und zu erzeugen.

ERDACHTE FORMEN

Medien bilden darin eine entwicklungsgeschichtlich herausgehobene Leistung menschlichen Denkens und Erfindens.

Sie werden von Menschen so entworfen und praktisch ´in Funktion gesetzt´, dass sie nicht nur ein Nachbau der gegenständlichen Handlungs- und Kommunikationsmatrix sind. Mit Medien erzeugen Menschen die mächtigste künstliche Realität außerhalb ihres eigenen Denkens.

Medien werden eingesetzt, um zu registrieren, archivieren, speichern, verwalten, entwerfen, Ordnungen auf Dauer zu stellen, Herkünfte und Zukünfte zu inszenieren, kulturelles Gedächtnis zu erzeugen (J. Assmann), kollektive Räume zu versprechen (P. Lévy), um Geschichte als eine beabsichtigte z.B. nationale Ordnung (W. Ernst) zu erzeugen.

EVOLUTIONÄRE ENTLASTUNG

Medien sind evolutionär entlastend. Mit ihnen wird einzelmenschliche Erinnerung aus dem wilden Geschehen ständig wechselnder (Zeit-, Handlungs-, Unterscheidungs-, Bedeutungs-)Prioritäten des menschlichen Gehirns herausgenommen und notiert, zu einer Ansammlung von Notizen. Durch ihre Verallgemeinerung werden diese zu Dokumenten, irgendwelchen Prozessen zugeordnet, von ihrer Zufälligkeit getrennt, in die Form des Gedächtnisses ´transformiert´.

Mit Medien erzeugen Menschen eine Welt eigenartiger Interaktivitätsmuster.

Hierzu gehört z. B. ´schreiben´ als interaktive Veränderung der materialen Oberfläche, der Gedanken, der Tintenmenge, der Körperhaltung, der Hand, etc, hierzu gehört ´lesen´, ´lernen´, ´Briefe schreiben´, ein ´Siegel brechen´, hierzu gehören geschichtlich legale klösterliche Bibelkopien, streng geregelte Leserechte, Alphabetisierung, oder gegenwärtig Computergames, e-Sports, Netcommunities, e-learning, illegale Raubkopien von Filmen, Musikstücken, Texten.

INTERAKTIVITÄTSMUSTER

Die medialen Interaktivitätsmuster, selbst Produkte menschlicher Erfindung, ziehen nicht nur Handlungen auf sich, erziehen nicht nur zu medienspezifischen Fähigkeiten. Jede Interaktivität ist grundsätzlich offen, hat offene Zeit- und Bedeutungsstellen. So können Ideen, Gedanken ohne Vorläufer entstehen, Nutzungserwartungen oder kulturelle Forderungen, über die vorher niemand gedacht hatte. Mediale Interaktivität schafft nicht nur angepasste Ordnung, sondern auch alle Potentiale ihrer Veränderung.

Deshalb sprechen wir von Evolution der Medien aber auch von der medialen Evolution menschlichen Denkens und Tuns.

Medien sind die sinnlichen Boten der Abstraktion.

In ihrer Nachricht verschwindet der evolutionäre und technologische Aufwand dieser Weltkunst.

FAMe beschäftigt sich damit, in ausgewählten Bereichen das Verschwundene nicht nur wieder sichtbar und denkbar zu machen. Uns geht es darum, die Repertoires der Veränderungschancen zu entdecken, die zu jedem Zeitpunkt in Handlungsmatrix und Interaktivitätsmustern enthalten sind.

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FAMe ist ein Netzwerk von Innovationsforschung, das sich auf

  • die Seismographie der Veränderung im Feld der medialen Selbstbefähigung des Menschen und auf
  • die informationsgebundene Selbstorganisation menschlichen Lebens konzentriert.

LATENTE ANTHROPOLOGIE

- Für eine Anthropologie des Medialen bedeutet dies, auf jede festlegende Bestimmung der Formen oder Strukturen menschlichen Lebens und Handelns zu verzichten. S. Rieger schlug für eine solche Forschung, die sich mit der unhintergehbaren Umweltbindung menschlichen Lebens befasst, den Terminus „latente Anthropologie“ vor.
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KO-EVOLUTION

- Dies bedeutet auch, den Menschen als ein werdendes Wesen zu erklären, als ein Wesen, das sich immer wieder anders entwirft, immer wieder verändernde kulturelle Formen erfindet, strukturiert, organisiert, die informationelle Dichte seiner Selbst- und Weltbeschreibungen erhöht und sich an selbst erzeugte ko-evolutionäre Prozesse bindet.
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INFOGENESE

- Eine Anthropologie des Medialen kann sich also nicht an die medialen Formen oder Formate binden. Sie muss den Ausdrucks-, Erfindungs- und Entwurfsreichtum beobachten, der durch die Erhöhung informationeller Dichte möglich wird. Sie wird dadurch zu einer Virtualitäts- oder Möglichkeitsforschung. Im Zentrum der Forschung stehen dann infogenetische Bedingungen von Unterscheidungen, Variationen, zu treffenden Auswahlen.
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Zwei Fragen umschreiben die Arbeitsideen:

Welche gegenwärtigen kulturellen Programme ermöglichen die medialen Zukünfte weltweit?
Und:
Wie sind diese Programme entstanden?

Der Terminus Programm steht für den Vorschlag, Kommunikation, Medien und Kultur als unüberschaubare, komplexe Dynamiken zu verstehen.

MEDIALE SELBSTBEFÄHIGUNG DES MENSCHEN

Keiner der angesprochenen Bereiche wäre ohne den anderen evolutionsfähig gewesen und ist es auch in Zukunft nicht. Wir sprechen also von wechselseitiger Abhängigkeit, die sich als Entwicklungsprozess darstellen lässt, von Ko-Evolution also. Im Zentrum dieser Betrachtung steht der von M. Faßler vorgeschlagene Ausdruck der „medialen Selbstbefähigung des Menschen“. (2005)

Es handelt sich dabei um eine Vielfalt vernetzter Prozesse, in denen Menschen sich sinnlich wahrnehmend, abstrahierend, systematisierend, speichernd, experimentierend, erhaltend, normierend, standardisierend auf sich und ihre Umwelt beziehen.

PROGRAMME

Programme verknüpfen diese und unzählige andere Bereiche mit einander. Sie sind kulturell gespeichertes Vorwissen mit einer eigenen Evolution, die durch Abfolgen von Versuch und Irrtum formiert wird, wie F.E. Rakuschan (2001, 54) schreibt. Programme sind Quelle der Erhaltung und der Veränderung, weil sie „Weisheit“ als „Wissen um das größere Interaktionssystem“ ansammeln, wie Gregory Bateson (1981, 558) es ausdrückte.

Mediale Selbstbefähigung des Menschen, ko-evolutionäre Prozesse und Programme werden im Forschungsnetzwerk eng mit der Erforschung von Mensch-Umwelt-Interaktivität verbunden. Interaktivität nimmt jene komplexen Dynamiken auf, von denen wir oben sprachen, und erzeugt immer wieder neue Varianten dieser. Hierdurch treten wir aus dem engeren Verständnis von Programm (als Fernseh- oder Tagesprogramm, als Pflichtprogramm oder Programmierung) heraus und stellen die Forschung in das unkalkulierbare Geschehen offener, komplexer Systeme, - womit wir im Geschehen der Gegenwart sind.

INTERFACES UND INFORMATIONSDICHTE

Die medientechnologischen Rahmenbedingungen, in denen wir diese Prozesse zu untersuchen beabsichtigen, sind durch Konzepte wie Information, Bits / Bytes, Internet, Internet Transfer Protokolle, durch multisensorische und multimediale Informationsumgebungen und auch durch interaktive Kunst, 3dimensionale virtuelle Räume, durch net-communities oder communities of projects (M. Faßler, 2006), durch e-learning, knowledge roboters und virtuelle Universität bestimmt. Dabei geht es um keinen technologischen Reduktionismus. Es geht um die These, dass wir Menschen in einer immer höheren Abhängigkeit von Informationen aus medialer, technologischer Umwelt leben, dass die Informationsdichte der Interfaces zunimmt.

TECHNISCHES SEHEN, HÖREN, ENTWERFEN

Technisches Sehen (durch Mikroskop, Teleskop, Fotoapparat, Super 8 Kamera, Digitale Aufnahmegeräte), technisches Hören (Schallplatte, Magnetband, MP3?-player), technisches Lesen (scannen, rendern, verarbeiten von Daten in Computerclastern) beschreiben diese Situation ebenso, wie Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben, Künstliche Umwelt.

Zunehmend wichtig werden Forschungen darüber, wie diese Bereiche kognitiv, handlungs-, kulturwissenschaftlich zusammenhängen, und wie Menschen in ständig neu zusammengesetzten Umwelten für sich bedeutende, geltende und sinnvolle Komplexitätsmodelle und -maße entwickeln.

Die Worte, mit denen diese Realität beschrieben wird, reichen von screenage, media made, Informationsgesellschaft, digitale Kultur, interface culture, bis zu Echtzeitgesellschaft oder Global digital Culture, online-Gesellschaft oder Cyber-Moderne.

Wie aber regeln Kulturen den Handlungsbetrieb zwischen Maschine, Liebeserklärung, Wissenschaft, Urbanität, Beruf, Lernen, Vergessen, wie den von verwerfen, entwerfen, experimentieren, von Veränderungsabsichten, Normen, Idealisierungen?

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FAMe_Frankfurt folgt bei der Erforschung dieser Fragen dem methodischen Grundsatz, dass alle Ebenen unterscheidbar, aber dennoch eng mit einander verknüpft sind. Francisco Varela nannte dies „Mehr-Ebenen-Konzeption“ (1990). In Anlehnung an Albert-Laszlo Barabási (2002) betrachten wir diese mehreren Ebenen als skalierte / nicht-skalierte Netzwerke und Programme.

Grundthese ist, dass der größte Teil unserer Welterfahrung und unseres Weltwissens nicht nur medial vermittelt, sondern medial integriert und konstituiert ist.

´Integriert´ besagt, dass die medialen Informationsumgebungen selbstreferenzielle Realitätsebenen sind, über die wir nachdenken, in denen wir uns kognitiv und kommunikativ bewegen, in denen und über die wir uns verständigen.
´Konstituiert´ besagt, dass die Realitätsverfassung, die wir Menschen mit Sinn, Geltung, Bedeutung ausstatten, unhintergehbar mit der Erfindung, Entwicklung, Nutzung, Veränderung von Medien vernetzt ist.

MEDIALE SELBSTORGANISATION

Der Terminus `Medien` beschreibt ein vielschichtiges, dynamisches Ensemble aus materialen, technologischen, funktionalen, apparativen, abstrakten, logischen, bild-, zahl-, schriftsprachlichen Feldern. Mit ihnen werden Informationen gespeichert, vermittelt, verbreitet, verarbeitet. Mit Medien erfinden, organisieren und erhalten sich Kulturen selbst.

Erfindung, Auftritt, Durchsetzung von Medien ist an immer wieder neue, komplexe Prozesse gebunden. Sie bestehen in veränderndem materialem Wissen, in veränderten Fähigkeiten, mit Zeichen, Speicherregeln, Abruf- und Wiedergaberegeln umzugehen. Sie bestehen aber auch in sich verändernden Wahrnehmungs- und Abstraktionsleistungen, in künstlerischen, wissenschaftlichen Entwurfsprozessen oder in der immer wieder neu zusammengesetzten Idee von informationeller Fremd- oder Selbstbestimmung, von Informations- und Wissenszugang oder von Exklusions- oder Partizipationsregeln.

Medien lassen sich also weder auf die physikalischen, chemischen oder optischen Speicher reduzieren, noch auf eine Sprachsystematik (ob Text, Bild oder Ton), noch auf ein Wahrheits- oder Rezeptionsideal.

AM BEGINN TRANSKUTURELLER SELBSTORGANISATION:
GLOBAL DIGITAL CULTURE.

Angenommen wird, dass alle Kulturen den Regeln und Regimen der medialen Selbstorganisation folgen.

Medien stellen die Rahmenbedingungen für die bedingten Freiheiten der Zukunft auf. Durch sie sind zunehmend komplexe Gefüge von informationeller Abhängigkeit entstanden. Die UNESCO sprach 2001 von einer entstehenden Global Digital Culture. In dieser lösen sich Menschen von Geografien, Territorien, dinglichen Ordnungen, richten ihre Wahrnehmung an den Leistungsoptionen von Softwarepaketen und Internetprotokollen aus, richten sich in diesen und den virtuellen Realitäten ein. Dabei ersetzen Medien nichts, sind keine brave new world, keine geheimnisvolle Macht.

WELT-IN-FORMATION

In den multisensorischen, aber vor allem polylogischen Medien haben wir Menschen eine Technologie bereitgestellt, in der und mit der instantan, mit globalen skalierten und nicht-skalierten Netzwerken eine Welt-in-sich entstanden ist: eine digitale Welt, in der Phantasien, Imaginationen, Entwürfe, Kalkulationen, Such- und Kommunikationsverhalten zeitnah verwirklicht werden können. Die Wirklichkeit ist die der „Virealität“ (M. Klein), eine Weltformation der Information, ein unhintergehbares Netwerk ergebnisoffener Determination.

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Was beschreibt eine Anthropologie der Medien und des Medialen? Und wie kann sie als gegenwärtiges Feld erforscht werden?

DIE KUNST DER SINNE: ZAHLENSINN – BILDSINN

FAMe_Frankfurt folgt der Grundannahme, dass Menschen die biologischen Möglichkeiten haben, visuelle, schriftliche, optische, zahlige und akustische Zeichen und deren Ordnungen zu erfinden und zu denken. Wir Menschen ´besitzen´ Zahlensinn (S. Dehaene), visuelle Intelligenz (D. D. Hoffman) oder haben ein wohltemperiertes Gehirn (R. Jourdain), wir ergehen die Welt und fassen sie mit Händen, wir zeichnen sie und bezeichnen sie. Uns stehen Möglichkeiten für enorme Fähigkeiten zur Verfügung. Aus diesen bilden wir die Codierungen für Dimensionen, Perspektiven, für musikalischen Raum und Harmonien, für Proportionen und Normen. Der schwierigere Teil besteht darin, die Entstehung, die zwischenmenschliche Festigung und kulturelle Weitung der Fähigkeiten zu erklären. Denn ´da´ waren sie nicht, nicht ´fertig´, nicht dem Menschen ´mitgegeben´.

MEDIEN = VORLÄUFERLOSE REALITÄTSMASCHINEN

Medien entstehen aus den genannten Fähigkeiten, - allerdings nicht linear folgerichtig. Ihre Erfindung ist nicht in eins zu setzen mit den Möglichkeiten ihrer Nutzung, die Erwartungen an dies muss keine plausiblen Verbindungen zu Innovationen aufweisen. Medien erzeugen eine eigene, typische evolutionäre Kultur der Variation, der Entscheidung, Ausbreitung, Selektion von Informationen und Formaten.

Grundsätzlich gehen wir also von einem inhomogenen Entstehungsfeld, ja auch von herkunftsungleichen, heterogenen Bedingungen für den Auftritt dieser vorläuferlosen Realitätsmaschinen aus.

Deren Erforschung kann nicht auf eine Sachkunde der Evolution beschränkt werden. Sie muss auf die Produktionsbedingungen, auf Wahrnehmung, Sinne, Denken, Abstraktionen, Formalismen eingehen. Und das heißt: auf die Erscheinungen deutlicher Veränderungen, auf erkennbare Gründe und Bedingungen für Veränderungen ebenso einzugehen, wie auf unerklärbare, plötzliche, oder nur im Rückblick ´nach-erklärbare´ Gründe für Entwicklungen. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Erforschung von Smart Populations (siehe Text zu Smart Populations).

INTERAKTIVITÄT ALS SELEKTOR

Wir nehmen an, dass an den Entwicklungen der medialen Fähigkeiten des Menschen alle sinnlich-geistigen Fähigkeiten des Menschen beteiligt waren und sind.

Sprechen wir von Medien, so bewegen wir uns in den Feldern der Wahrnehmung, der Abstraktion, der Speicher, der Erhaltungsregeln für Notiertes, der Texte und der heiligen Texte, der Großen Erzählungen und Echtzeitmedien, verblassenden einzelmenschlichen Erinnerungen und sprudelndem kulturellem Gedächtnis. In welchem quantifizierbaren oder qualifizierbaren Verhältnis sie durch Wahrnehmung, durch Interaktion zu einander gestellt werden, lässt sich nicht bestimmen. Stellt man diese Idee der zusammenführenden Organisation als ein Auswahlverfahren oder gar als ein Selektionsprinzip dar, wird das Gewicht dieser These deutlich. Sie besagt dann, dass jede interaktive Wechselseitigkeit ein Selektor ist, die Bindungskraft von Interaktivität in der Verfassung von Auswahl-, Verbreitungs- und Erhaltungs-Maßstäben besteht.

Dies gilt für die Standards zu hören, lesen, schreiben, schmecken, zu denken, musizieren uvam.

MEDIALE EINBETTUNG VON WELT

Lassen wir uns also nicht von der über einige Jahrhunderte existenten Vorherrschaft von Schrift-Buch-Lese-Ordnungen täuschen. Sie bildeten eine mächtige Struktur, weltweit. In den Zeiten der Handschriften waren sie von Handmalereien, von Arabesken, Ornamenten, Bildern begleitet, dann mit dem Buchdruck wurden sie auf den Standard der bildlosen Nachricht des (Lehr-) Textes reduziert. Aber, wie es scheint, ist diese Vorherrschaft kaum zu halten. Anschauen, sehen, wortreich und grammatisch korrekt sprechen, hören / Musik hören werden immer intensiver in die medial und technologisch erzeugten Informationsströme von Kulturen und individueller Wahrnehmung eingebunden.

Wir erwarten und verlangen zunehmend ´mehr´ von Medien, mehr Informationen, mehr Auswahlangebote und mehr Selektionsfreiheit, mehr Welt, mehr Nähe, mehr Unterhaltung:\\ sie sollen uns ansprechen, unterhalten, informieren. Dies deutet nicht nur auf Konsum der Medien hin. Der oft angesprochene Realitätssinn ist längst eingefügt in den Mediensinn. Realitätssinn ist als Mediensinn verkörpert. Wir nehmen Welt in Medien ernst, anerkennen die Realität der Informationen, vertrauen diesen und den Regeln, sie ernst zu nehmen.

KÜNSTLICHER SINN: MEDIENSINN

Was beschreibt dieses Wort `Mediensinn´? Gemeint sind die

  • entstandenen menschlichen Fähigkeiten, in einen abstrakten, künstlichen, gezeichneten Raum einzutreten, im Buch zu versinken, in den Film einzutauchen usw. (Immersion)
  • menschlichen Fähigkeiten, in jeglicher verallgemeinerten Darstellung (spezifische) Realität zu erkennen, also Texten, Bildern, Tönen, Melodien, Filmen etwas zu entnehmen (Bedeutung erzeugen)
  • Zeichen und Bedeutungen in den Verständigungsverlauf zu übertragen
  • Entwicklung eines mediengebundenen, letztlich medienintegrierten Realitätssinns (Vertrauen in das Unkörperliche, Ferne, Abstrakte)
  • Und die immer umfangreichere, informationsdichtere Erschaffung von Medienrealitäten

Er ist ein Ergebnis der medialen Selbstbefähigung des Menschen, sozusagen das Spitzenprodukt der medienevolutionären Prozesse. Hier wird der Ausdruck Mediensinn in Verbindung mit kumulativer kultureller Evolution verwendet. Es geht nicht nur um die Formierung von Sinnen durch Wahrnehmungsangebote. Es geht um die Herausbildung von vielschichtigen Realitätsbezügen, um deren zuverlässige soziale Weitergabe, um deren zuverlässige kulturelle Vererbung, und deren schlüssige Anwendbarkeit.

SOVIEL KÜNSTLICHKEIT WAR NIE.

Mediensinn beschreibt die ´Verbindungsleistungen´, die wir Menschen heute selbstverständlich zwischen medienerzeugten sinnlichen Oberflächen und Welterwartungen herstellen. Dass wir Nachrichten, Unterhaltungsprogramme, Spielfilme, Dokumentarfilme, Leserbriefe, Leitartikel vom Format, ihrer Wahrhaftigkeit, ihrer erzählerischen Stile usw. unterscheiden können, hat damit zu tun, dass wir individuell und kulturell Medienwelten und deren sinnlich-formale Interfaces als Weltzusagen annehmen können. Hierzu gehören Alphabetisierung ebenso wie erlerntes Sehen, kulturell fraglose Zeichensprachen ebenso Glaubwürdigkeit der unprüfbaren Informationen.

Der menschheitsgeschichtlich sehr junge Mediensinn erklärt sich aus den Entwicklungen von Mensch-Medien-Interaktivitäten. Wir verwenden ihn existentiell, experimentell und kulturell.

  • ´Existentiell´ wird hier im vollen Ernst des Wortes vom biologischen Individuum verwendet, das jeder von uns ist, und ein einzigartiges Leben unter der Voraussetzung von Milliarden anders möglich gewesener genetischer Kombinationen ist. Diese biologische Individualität Mensch kümmert sich mit ständig veränderten Fähigkeiten um Leben und Unbelebtes, um Natürliches und (natürlich) Künstliches. Wir biologischen Individuen suchen Kooperationen, bieten Rück-Handlungen an (Re-Aktion), schaffen Netzwerke mehr oder minder dauerhafter inter-aktiver Beziehungen und produzieren künstliche Kennzeichen, mit deren Hilfe wir Menschen, Dinge, Situationen im Gedächtnis behalten.
  • ´Experimentell´ wird hier als Gegenbegriff zu Konstanten verwendet. Gemeint sind damit Irritationen, Nachahmungen, Tests, Abweichungen, Selektion, Entscheidungen, Routinen. Beschrieben werden Netzwerke von Widersprüchen, die wir Menschen sind, die wir mit unseren menschlichen und nicht-menschlichen Mitwelten sind, - und die Chancen, Strukturen und Medien zu produzieren.
  • ´kulturell´ meint hier, dass der Mediensinn an Regeln gebunden ist, wie medial gespeichert, verarbeitet, gesendet, reproduziert oder vergessen wird. Kultur wird nicht als „communities of meaning“ (Cohen) verwendet, sondern bezieht sich auf die Bedingungen für Bedeutung, auf Standards, Regeln, Strukturen, Abstraktionen. MedienSinn? verbindet Wahrnehmung nicht vorschnell mit Bedeutung, sondern mit Praxis, Programm und Pragmatik des medialen Weltwissen.

FAMe_Frankfurt geht es um diese jeweils gegenwärtigen Felder, aus denen die Regeln für die Erhaltung (Konservierung, Archivierung, einfache Reproduktion) ebenso entstehen, wie die Regeln für Bedeutungen und Bedeutungsunterscheide, wie für überschreitendes, entwerfendes, entgrenzendes Denken.

Mit Medien erzeugen wir Menschen Wahrnehmungs- und Wirklichkeitsoptionen, Erwartungsregeln und Erwartungsformen. Diese ändern sich mit jeder Nutzung eines Mediums oder von Mediennetzen.

Die wissenschaftliche Kunst wird es sein, die Gebrauchskulturen von Medien und Informationen so zu erforschen, dass die enorme Stärke der Abstraktionsleistungen (z.B. Zahlen, Programme, Künstlichkeit, Virtualität, Phantasie, Imagination, langfristige Erwartungen)als das ständig sich ändernde Wegenetz menschlicher Kulturen erklärbar wird (Communities of Projects).

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Wir stellen das Forschungsprogramm von FAME_FRANKFURT unter ein Motto, das die vier wichtigsten menschlich-medialen Handlungsebenen umfasst:

I4
(Kurzfassung)

oder

Ihoch4
Interaktivität\\ Information
Interface
Immersion

Die VerVierfachung? weist auf die enorme Komplexität hin, die in den vernetzten Zusammenhängen von

Interaktivität <> Information <> Interface <> Immersion

immer wieder neu, anders, variierend, ko-evolutionär entsteht.

MAFA
FASSLERMANFRED@AOL.COM
FRANKFURT MÄRZ 2006

Last update June 04, 2007, at 05:00 PM | Login
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